Selbstportrait, 1. Januar 2014
Heute will ich über das Schreiben schreiben. Schreiben ist mein Job, ich verdiene damit (und mit der Fotografie) meinen Lebensunterhalt. Schreiben ist aber mehr als nur ein Job. Es ist vielmehr ein Bedürfnis, eine Notwendigkeit. Ich schreibe, weil sich durch das Schreiben Dinge klären. Ich kann mich selbst in einem anderen Licht betrachten. Ich schreibe, weil ich Worte liebe. Sätze, die sich zu Geschichten formen. Weil ich etwas kreiere, das es davor noch nicht gab. Schreiben ist wie eine Landkarte, die ich betrete.
Eine Karte, in der noch keine Wege und Orte eingezeichnet sind. Ich fange an zu schreiben und ich bewege mich Schritt für Schritt in einem unbekannten Terrain. Wege entstehen beim Gehen. Und so gehe ich, nicht wissend, wohin mich meine Schritte führen. Doch mit jedem Schritt, den ich gehe, hinterlasse ich meine Fußabdrücke. Ich blicke zurück und erkenne einen Pfad, dort wo vorher unbetretenes Land war. Nicht jeder Schritt ist gleich. Oft gleichen die Schritte einem Stolpern. Es sind zaghafte, ängstliche Schritte. Andere sind entschlossen und mutig. Doch nur, wenn ich gehe, erlebe ich Veränderung. Natürlich ist Stehenbleiben erlaubt. Um durchzuatmen, innezuhalten, um mich neu zu orientieren. Um den bereits zurückgelegten Weg zu betrachten und den Erfolg zu feiern. Eine Pause einlegen. Mit neuen Kräften geht es anschließend weiter. Schritt für Schritt.
Vogel für Vogel
„Bird by Bird“, wie es die Autorin Anne Lamott so schön ausgedrückt hat. In ihrem gleichnamigen Buch erzählt sie die Geschichte ihres Bruders der einen Schulaufsatz über Vögel schreiben musste. Er hatte drei Monate Zeit dazu und morgen war der Abgabetermin. Anne Lamott beschreibt die Szene, wie ihr Bruder auf der Sommerresidenz der Familie am Küchentisch sitzt, umgeben von Schreibpapier, Stiften, Büchern über Vögel, völlig aufgelöst, den Tränen nahe, gelähmt und unfähig nur ein Wort zu Papier zu bringen angesichts der Tatsache, dass der Aufsatz morgen fertig sein muss. Dann kam der Vater, setzte sich neben ihn, legte seinen Arm um seine Schultern. „Bird by Bird“, mein Kleiner, – Vogel für Vogel.
Hier geht es zur deutschen Fassung von Bird by Bird auf Amazon: Bird by Bird – Wort für Wort. Anleitungen zum Schreiben und Leben als Schriftsteller
Und hier zum englischen Original auf Amazon:Bird by Bird: Some Instructions on Writing and Life
Schreiben ist harte Arbeit
Wie oft bin ich gelähmt angesichts der Tatsache, dass ich eine Reportage schreiben muss? Ich sitze vor dem leeren Dokument, sehe den blinkenden Curser und habe keine Ahnung wo ich anfangen soll. Die ersten Sätze sind immer die schwierigsten. Die ersten Sätze sind die wichtigsten. Denn sie entscheiden, ob der Leser den Text überhaupt lesen möchte. Wenn ihn der Text nicht packt, er gelangweilt ist, wird er nicht weiterlesen. Doch auch die weiteren Absätze sind wichtig. Was habe ich von einem packenden Einstieg, wenn ich den Leser nach dem ersten Absatz verliere? Erst serviere ich eine leckere Vorspeise, die natürlich gespannt macht auf den nächsten Gang. Wenn ich dann eine Tütensuppe auftische, habe ich meinen Leser verloren. Schreiben ist harte Arbeit. Das merke ich jeden Tag, wenn ich meinen Computer starte und anfange, einen Text zu schreiben. Dann geht es mir so wie Anne Lamotts Bruder. Ich sitze da und bin wie gelähmt. Ich ringe um Worte, aber sie wollen mir nicht gelingen. Aus lauter Angst, ich könnte die Erwartungen meiner Leser nicht erfüllen, wird meine Kreativität im Keim erstickt.
Aus Angst zum Abschreiber?
Ich muss an eine Geschichte denken, die vor einigen Jahren passierte. Eine Redakteurin, die ich persönlich nicht kenne, aber deren Reportagen ich sehr schätzte, wurde des Abschreibens bezichtigt. Ganze Sätze waren aus namhaften Zeitungen geklaut. Ich war sehr enttäuscht. Und entsetzt. Warum nur hat sie das getan? Was waren ihre Beweggründe? Ich will ihre Tat keinesfalls rechtfertigen. Ich will es verstehen. Ging es ihr so? Vor dem Computer sitzen, den Curser blinken zu sehen, der dich hämisch angrinst und dir verächtlich zuruft, dass du es nicht schaffen wirst, auch nur einen einzigen vernünftigen Satz zu schreiben? Kommt der Zeitdruck dazu (Abgabetermin morgen) scheint alles hoffnungslos. Lässt einem die schiere Angst vorm Versagen zum Abschreiber werden?
Auch mich lähmt Angst. Angst, zu versagen. Angst, der Text genügt den Anforderungen nicht. Doch ich muss diese Angst überwinden. Meistens sitze ich vorm Bildschirm und quetsche Worte aus mir heraus. Und wenn ich mir die ersten Sätze so ansehe, dann lesen sie sich genauso: Gequetscht. Es sind furchtbare Sätze und sie bestätigen mir genau das, wovor ich Angst habe: Ich bin ein Versager und schaffe es nie, einen vernünftigen Satz zu schreiben. Dann beginne ich zu prokrastinieren. Meistens surfe ich im Web und lese Seiten erfolgreicher Autoren. Sie bringen mir Gewissheit und bestätigen mich in meiner furchtbaren Ahnung: Schau nur, welche Worte sie finden, mit welcher Leichtigkeit sie schreiben. Die ganze Welt bricht zusammen. Nur eines bleibt: Mein ungeschriebener Text und der Abgabetermin. Und meine Angst. Die anderen schütteln ihre Texte aus dem Ärmel. Sie schreiben in Cafés, in Zugabteilen, an der Strandbar, spät nachts in der Bar bei einem Whiskey.
Ich habe drei Sätze geschrieben. Sie klingen furchtbar
Irgendwann, der halbe Tag ist bereits vorbei und ich habe vielleicht drei bis fünf Sätze (ganz schreckliche, furchtbare) geschrieben, entscheide ich mich, dass das sowieso keinen Sinn hat. Ich schließe das Dokument und widme mich anderen Dingen. Facebook und Twitter. Was habe ich eigentlich gemacht, bevor es Social Media gab? Mit was habe ich mich abgelenkt?
Plötzlich beginnt der Text zu leben
Der neue Tag fängt so an, wie der alte endete. Es ist bereits mittag und ich treffe eine Entscheidung. Ich markiere die bislang geschriebenen Sätze (viele sind es ja nicht) und drücke die Enter Taste. Gelöscht. Alles leer. Ich starte von vorne. Und fange an zu Schreiben. Einfach so. Losgelöst von den Erwartungen, von den Ängsten. Ich erinnere mich an das, was ich erlebt habe und tippe. Ich horche in mich hinein, versuche Stimmungen, Empfindungen und Gefühle in Worte zu fassen. Plötzlich erkenne ich etwas in meinen Sätzen. Es ist authentisch. Es ist echt. Ich erkenne mich Selbst in dem, was ich da schreibe. Eine Geschichte entsteht. Sie nimmt Form an, sie entwickelt sich. Und etwas sehr Geniales passiert: Plötzlich ist da keine Angst mehr. Der Text beginnt zu leben.
Wenn ich die fertige Reportage lese, staune ich. Habe ich das wirklich geschrieben? Ich bin überwältigt. Wie ist mir dieser Satz gelungen? Die Geschichte liest sich wie aus einem Guss. Ich bin stolz auf den Text, den ich geschrieben habe. Der aus mir heraus geflossen ist. Authentisch, von mir erlebt, von mir geschrieben. Ein unglaubliches Gefühl der Dankbarkeit macht sich breit. Ich habe es geschafft! Ich bin zufrieden mit dem Text. Leider ist es ein sehr flüchtiges Gefühl. Spätestens dann, wenn ich den Computer starte, ein neues Word Dokument öffne und einen neuen Text schreibe, ist dieses Gefühl verschwunden. Ich sehe den blinken Curser, sehe sein hämisches Grinsen. Aber ich blicke ihm kühn ins Gesicht. Und fange an zu Schreiben.
Habe ein bisschen rumgestöbert, und was ich gelesen habe kommt mir sehr vertraut vor :O). Habe gerade vorhin mit Schreiben meiner Vergangenheit einen Blick in die Gegenwart gestattet. Und das obwohl ich weiß, dass nur Gegenwart gibt. Vergangenheit ist ein Trick unseres minds, mit dem er uns darüber hinweg täuscht, etwas wäre vorbei. Oh nein, die Vergangenheit lebt. Und wenn ich jetzt auch noch Musiker wäre, könnte ich vielleicht ein Lied davon singen, wie sie unser Leben im Jetzt „nachhaltig“ beeinflusst. Ganz nebenbei: Ich erkläre das Wort „nachhaltig“ zum Unwort des Jahres, denn es sagt überhaupt nichts aus. Was ist nicht alles nachhaltig?! Siehe Vergangenheit…..