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Das große Eisbär-Abenteuer

Takkiwrites ist wieder live. Mit neuen spannenden Stories. In Kanada. Ab Samstag, 10. November 2012. Bei den Eisbären! 

Noch drei Tage. Dann sitze ich im Flieger der Air Canada nach Winnipeg, Manitoba, Kanada. Nach einer sehr kurzen Nacht fliege ich sonntagfrüh mit Calm Air weiter, 1800 Kilometer in den Norden, nach Churchill. Ein weiterer Flug mit einem Buschflugzeug bringt mich zur Seal River Lodge an der Hudson Bay. Für die nächsten fünf Tage wird Seal River meine Base für eines der unglaublichsten Abenteuer: Auge in Auge mit den Eisbären. Zu Fuß und ohne gepanzertes Fahrzeug werde ich Eisbären aus nächster Nähe fotografieren! In Eiseskälte. Schon jetzt sind Temperaturen von unter minus 19 Grad angesagt. Ich werde nervös. Habe ich wirklich genügend warme Sachen dabei? Halten die Marmot-Handschuhe meine Hände tatsächlich warm? Hätte ich lieber einen Daunenparka kaufen sollen? Ich vertraue meiner NorthFace Gore-Tex Jacke. Immerhin hat sie mich bereits zehn Jahre lang durch alle möglichen Abenteuer begleitet. Mit derselben Jacke war ich bei minus 33 Grad im Banff National Park in Alberta  Skilanglaufen und kam dabei mächtig ins Schwitzen.

Ich war in Berlin, als ich einen unerwarteten Anruf erhielt: Ich soll nach Kanada fliegen. Nach Churchill. Eisbären fotografieren. Im Oktober. In zwei Wochen! Also habe ich mir die Jacke in einem Outdoor-Laden besorgt und flog nach Kanada. Meinen ersten Eisbären habe ich bereits im Anflug nach Churchill gesehen. In Churchill gibt es keinen Handyempfang, dafür eine Landebahn fürs Space Shuttle. Aus meiner ersten Reise nach Churchill entstand eine meiner meist verkauften Reportagen. 10 Jahre ist das jetzt her. Seitdem bin ich weitere zwei Male zurück in die kanadische Arktis gekommen:

2008 schwamm ich im eisigen Wasser des Churchill Rivers mit Beluga-Walen

http://www.youtube.com/watch?v=DlmgrHKhwxI

und 2010 fotografierte ich aus nächster Nähe Eisbären während meines Aufenthaltes in der Nanuk Polar Bear Lodge.

Am Samstag erwartet mich ein weiteres Abenteuer im Norden Kanadas. Die Foto-Safari auf der Seal River Lodge ist das erste Highlight. Anschließend begleite und dokumentiere ich den Polar Bear Marathon. Ja, richtig gelesen! Eisbärenmarathon. 20 Elite-Läufer starten am 20. November zum wohl verrücktesten und verwegensten Rennen auf diesem Planeten: 50 Kilometer in eisiger Kälte, bei Temperaturen von bis zu Minus 40 Grad. Mitten durch Eisbärengebiet! Ein Lauf, der einzigartig ist. Den es in dieser Form noch nie gegeben hat. Doch den Läufern geht es nicht um Rekorde oder Bestzeiten. Sie laufen, um Spendengelder für die Arbeit von Athletes in Action zu sammeln. Das Geld kommt den First Nations People vom Stamm der Sayisi Dene First Nation Community in Tadoule Lake, ca. 250 Kilometer westlich von Churchill  zu Gute.

Albert Martens hat den Lauf organisiert und dazu eingeladen. Darunter sind Ultramarathon-Läufer aus Deutschland sowie “Antarctic Mike” Michael Pierce, der 2006 in der Antarktis einen Marathon lief. Extrembergsteiger Eric Alexander schaffte es mehrere Male auf den Mt. Everest und begleitete sogar seinen blinden Freund Erik Weihenmayers auf den Gipfel. Mit dem Eisbärenmarathon stellt er sich einer neuen Herausforderung.

“Das ist kein Rennen, sondern ein Erlebnis”, sagt Albert Martens. Die Idee für den „Polar Bear Marathon“ kam Albert Martens an einem sehr kalten Wintertag vor einem Jahr. Ausschlaggebend war sein Ziel, einmal im Leben die Distanz des Erdumfangs (40.074 km) zu Laufen. Um dieses Ziel zu feiern, nahm sich Martens einen kompletten Marathonlauf rund um seine Heimatstadt Steinbach (nähe Winnipeg im Süden Manitobas) in Kanada vor. Am 26. Februar 2011 war es soweit: Sein Schrittzähler sprang über die magische Grenze. In der Nacht zuvor fiel die Temperatur auf minus 32 Grad. Begleitet wurde er von „Antarctic Mike“ aus Kalifornien, der bereits mehrere Läufe in der Arktis erfolgreich absolvierte. „Mike schlug vor, einen weiteren Marathon in extremer Kälte zu Laufen und so wurde die Idee des Eisbärenmarathon geboren“, berichtet Albert Martens.

takkiwrites begleitet den Marathon als Journalistin und Fotografin und natürlich gibt es spannende Fotos, Videos und Berichte auf www.takkiwrites.com, Twitter @takkiwrites und auf facebook.

SWISS ALPINE 2010 – feg-runners im Höhenrausch

Wenn sich Menschen in größer Höhe aufhalten, hat das bekanntlich Auswirkungen auf die Sinne. Anders kann ich es mir nicht erklären, welcher Gaul mich nach dem Zieleinlauf beim Jungfrau – Marathon im September 2009 auf der Kleinen Scheidegg geritten hat, mich beim härtesten Bergmarathon der Welt, dem Swiss Alpine K 78 über 78 Kilometer und +/- 2260 Höhenmeter anzumelden. Schließlich wollen Träume gelebt und Ziele erreicht werden, man wird ja nicht jünger. Eben! Ende April fand mein ambitioniertes Vorhaben ein jähes Ende. Ausgerechnet beim Genusslauf in Müllheim, einem Halbmarathon mit rund 400 Höhenmetern. Bereits auf den ersten Kilometern bekam ich seltsame Kopfschmerzen. Ich zog den Lauf mit gemäßigtem Tempo bis zum Ende durch. Danach war ich fast vier Wochen lang mit Dauerkopfschmerzen aus dem Leben gerissen. Es folgten verschiedene Arztbesuche bis hin zum MRT. Im Juni dann endlich Entwarnung: Die Kopfschmerzen stellten sich als Stirnhöhlenvereiterung heraus, die bereits abgeklungen war. Als endlich der Befund auf dem Tisch lag, war klar, dass ich in diesem Jahr keinen K 78 bestreiten kann. Laufverbot über mehrere Monate, an einen Marathon ist da nicht mehr zu denken.
Ende Juni unternahmen Axel und ich eine zweitägige Wanderetappe von Hinterzarten über den Feldberg bis zum Stübenwasen. Am zweiten Tag wanderten wir über Belchen und Blauen bis Vogelbach, rund 40 Kilometer. Danach sah die Welt anders aus: Wenn ich an einem Tag 40 Kilometer marschieren kann – mit Gepäck und schweren Wanderstiefeln, dann kann ich das auch mit Joggingschuhen in achteinhalb Stunden laufen. Weshalb mich also nicht vom K 78 auf den K 42 Marathon ummelden? Dass dieser der höchst gelegene Berglauf Europas ist, der über alpine Trails und zwei Pässe – Keschhütte mit 2632 Metern und Scalettapass mit 2606 Metern führt – also ca. 1800 Höhenmeter auf und 1700 Höhenmeter bergab – habe ich irgendwie nicht realisiert. Dagegen sind Feldberg, Belchen und Blauen mit ihren 1400 und 1165 Metern als sanfte Erhebungen zu bezeichnen.
Zusammen mit meiner Laufgruppe, den feg-runners bin ich am Samstag, 31. Juli 2010 beim Swiss Alpine 2010 in Davos gestartet. Alle haben wir gefinished! Sieben Läufer/innern beim K 78, acht beim K 42, einer beim K 31 und sechs beim K 21. Laufend Freunde finden – so lautet das Motto der feg-runners. Als Gruppe haben wir ein geniales Wochenende erlebt, gemeinsam gefiebert, gelitten und gefeiert. Das gemeinsame Erleben von Höhen und Tiefen – denn die hat man während eines solchen Laufes immer – schweisst zusammen. Zuletzt sind die Anstrengungen vergessen und die Freude überwiegt. Den letzten Kilometer bin ich zusammen mit Erika aus Basel gelaufen. Bei Kilometer 15 hat sie vor mir die Kesch-Hütte erreicht. Im Film seht ihr mich zusammen mit Erika im Ziel. Sie ist meine Heldin des Swiss Alpine 2010 K 42. Erika ist 70 – und seht sie euch an, wie frisch und fit sie nach dem Lauf aussieht. Mit 65 Jahren ist sie ihren ersten Marathon gelaufen. Was für eine tolle Leistung. Gemeinsam Laufen verbindet – über alle Grenzen, auch die des Alters. Ich bin glücklich, dass ich lachend und ohne Schmerzen in Davos im Ziel eingelaufen bin, wo meine Freunde so lange auf mich gewartet hatten, um mit mir den Zieleinlauf zu feiern. So, jetzt aber genug der Worte – viel Spaß beim Film gucken! Achtung – Film ist in HD-Qualität – also HD einschalten. Bei langsamen Verbindungen kann es dauern….

Mai 2010

Dancing Forest May 2010
Der Mai ist mein Lieblingsmonat! Nicht nur, weil ich ein Maikind bin. Im Mai ist die Natur herrlich grün – ein frisches, helles, zartes Grün! Diese Farbe symbolisiert für mich Leben, Inspiration, Neubeginn, Kreativität, Aufbruch, Lebensfreude und noch vieles mehr. Die Tage sind wieder lau und lang, alles duftet frisch und in der Luft ist der nahende Sommer zu spüren. Aller Freude zum Trotz bin ich dennoch erschrocken, dass wir bereits den zweiten Mai haben. Die Zeit scheint wie im Flug zu vergehen. Noch 89 Tage bis zum Swiss Alpine. Im vergangenen Jahr habe ich auf den Jungfrau Marathon trainiert und war um einiges fitter als ich es jetzt bin. Bereits im April habe ich mehrere Läufe über 20 Kilometer – darunter auch auf den Hochblauen – hinter mich gebracht. Dieses Jahr bin ich erst einmal über 20 Kilometer gelaufen – das war am vergangenen Sonntag beim Genusslauf in Müllheim. Mai 2010 weiterlesen

„Küssen macht mich sackstark“

Eben habe ich mir den Fernsehbericht über den 17. Jungfrau Marathon auf dem Internet angesehen. Dabei wurden erneut viele Emotionen und Erinnerungen geweckt. Und ich kann nur staunen, mit welcher Kraft und Geschwindigkeit die Top-Athleten die Berge hinter sich bringen. Was mich besonders freute: Der Dudelsackspieler spielte  für mich dieselbe Melodie wie für die Favoriten. Im Interview berichtet er von seinen Erlebnissen auf der Moräne und wie viele Küsse er erhalten hat. „Küssen macht mich sackstark – dudelsackstark“, erzählt er im Fernsehbeitrag. Von mir hat er zwar keinen Kuss bekommen aber ein nettes Lächeln war auf alle Fälle drin, als ich ihn und damit das steile Stück auf der Moräne passierte.

Finisher beim 17. Jungfrau Marathon

Ich habe es geschafft und den 17. Jungfrau Marathon als Finisher beendet! Nach sechs Stunden und sechs Minuten bin ich überglücklich und noch immer frisch im Ziel auf der Kleinen Scheidegg angekommen. Ich kann es noch immer nicht glauben, dass ich nach 42.195 Kilometern und 1800 Höhenmetern so fit war. Keine Schmerzen, keine Krämpfe, Kopfschmerzen – nichts davon, nur pures Glück und Dankbarkeit! Ich konnte den Lauf und die einmalige Stimmung entlang der Strecke genießen. Mit jedem Kilometer den ich zwischen Interlaken und der Kleinen Scheidegg lief, dankte ich Gott aus ganzem Herzen für mein Leben. Ich glaube ich war selten so glücklich wie auf diesen 42 Kilometern.

Das Wetterwunder von Interlaken

Wie wird das Wetter – das war die alles beherrschende Frage am Freitag. Der Wetterbericht für den Renntag war alles anderes als rosig. 9 Grad und Dauerregen am Start, für die Kleine Scheidegg war sogar Schneefall vorausgesagt.  Abends beim Spaghettiessen drehen sich die Gespräche in unserer Läuferrunde nur das Thema Anziehen. Die Berge um Lauterbrunnen sind dicht in Wolken gehüllt. Ich bete um ein Wunder, denn bei Gott sind alle Dinge möglich! Es regnet die ganze Nacht über. Samstagmorgen um viertel vor sechs öffne ich das Fenster und traue meinen Augen kaum: Ich sehe Sterne und die Berge. Kann das wirklich wahr sein? Die Schlechtwetterfront ist abgezogen! Es ist kalt, aber keine Wolke am Himmel zu sehen. Ich wähle meine kurze Adidas Laufhosen, Odlo Unterhemd, FeG-Runners Laufshirt, Buff, meine Chaskee-Mütze und die CEP-Running Socken als Rennbekleidung für den Tag. Für die ersten Kilometer ziehe ich ein altes langärmliges Laufshirt an, das ich später auf der Strecke entsorgen kann. In Lauterbrunnen würde ich meine kleine Hüfttasche in Empfang nehmen mit Windjacke, Handschuhe und Thermomütze für den Berg.

Fast den Start verpasst

Samstag, Startbereich auf der Promenade in Interlaken, kurz vor 9 Uhr. Der Sprecher weißt die Läufer an, sich jetzt in ihren jeweiligen Startbereich zu begeben. Noch immer stehe in einer Schlange vor den Dixie-Toiletten. Und das seit 20 Minuten!  Und noch immer sind zwei Leute vor mir! Jetzt kündigt der Sprecher die Schweizer Nationalhymne an! Endlich wird die Box frei! Phil und mir bleibt kaum Zeit – noch zwei Minuten bis zum Start. Wir rennen in unseren Startbereich und reihen uns beim 6-Stunden-Pacemaker, erkennbar am orangenen Ballon, ein. Der Startschuss fällt, das Rennen beginnt! Einige Raketen knallen und zaubern einen Lichtblitz in den Himmel. Rechts von uns glänzt das Jungfrau-Massiv im Licht der Sonne.

Stimmung Stimmung Stimmung

Volksfeststimmung, nicht nur in Interlaken sondern überall auf der Strecke werden die Läufer frenetisch gefeiert! Mit riesigen Kuhglocken, Pfeifen, Rattern, Gugge-Musiken und Blasorchestern. So etwas habe ich noch nie erlebt! Was für ein Geschenk! Sonne, blauer Himmel, schneebedeckte Berge und Begeisterung überall. Phil und ich finden unser Tempo, laufen 6.16 Minuten auf den Kilometer, befinden uns rund 150 Meter vor dem 6-Stunden Pacemaker. Ich bin überglücklich und danke Gott – jeden Kilometer den ich laufe –  für mein bisheriges Leben und die Menschen, die mir wichtig sind.

Ist es Nervosität? Im Training habe ich nie Probleme mit Seitenstechen, doch jetzt im Rennen spüre ich ein unangenehmes Ziehen im Bauch. Auch die linke Hüfte macht sich mit Schmerzen bemerkbar. Und das nach nur  zehn Kilometern. Beim Verpflegungsstand KM 15 greife ich mir einen Powerbar-Riegel und Isogetränke. Plötzlich zieht der Pacemaker  vorbei. Der Weg nach Lauterbrunnen wird enger, ich falle weit hinter den orangenen Ballon zurück.

KM 21 Lauterbrunnen

Phil und ich erreichen Lauterbrunnen. Bei KM 21,1 passieren wir die erste Zeitmessung: 2.23 Stunden. Noch liegen wir gut in der Zeit. Ich tausche meinen Trinkgürtel gegen den Hüftgürtel mit warmer Kleidung. Ich werde sie nicht brauchen, aber in den Bergen muss man auf alles vorbereitet sein. Nach der Schleife zu den Trümmelbachfällen erhöhe ich das Tempo. Ich habe es satt, auf der Ebene zu laufen. Die Hüfte schmerzt bei jedem Schritt. Ich will jetzt in die Berge! Kann es kaum erwarten, bis die Steigung nach Wengen beginnt. Wir treffen Mark, einen Landsmann von Phil aus Ontario, Kanada. Auch für ihn ist es sein erster Jungfrau-Marathon. Er wird ihn leider nicht schaffen.

Bei KM 25,5 zweigt der Weg rechts ab und führt steil aufwärts. 26 Serpentinen bis Wengen! Phil ist in seinem Element. Schnell ist er eine Serpentine vor mir. Die Gespräche zwischen den Läufern sind längst in ein Keuchen übergegangen. Plötzlich ruft Phil aus Leibeskräften: „Are we having fun yet?“ „Yes, Yes“, tönt es von manchen. Kurz vor Wengen. Einige müssen sich eingestehen, dass sie sich mit dem Lauf übernommen haben. In Wengen geben die ersten auf. Phil und ich erreichen Wengen bei KM 30,3 nach 3.45 Stunden. Noch immer liegen wir super in der Zeit – sogar unter 6 Stunden. Aber weshalb ist der Pace-Maker nicht mehr zu sehen? Die Schmerzen in der Hüfte verschwinden!

Der Berg, der Weg und ich

Nach KM 34 muss ich Phil zurücklassen. Er hat Magenprobleme und kann das Tempo nicht mehr halten. Ich wünsche ihm viel Kraft und bete, dass er es auch ins Ziel schafft. Sobald die Strecke flacher wird oder es Passagen gibt, die leicht bergab führen, fange ich wieder an zu Laufen. Ohne anzuhalten oder Pause zu machen, marschiere ich weiter. Nicht einmal an den Verpflegungsständen bleibe ich stehen, sondern greife mir, was ich brauche und gehe weiter. Bei KM 37 öffnet sich vor mir das Panorama von Eiger, Mönch und Jungfrau. Links auf einer Anhöhe in einer Wiese steht ein Dudelsackspieler in schottischer Tracht und spielt ein Volkslied. Ich kenne es nicht. Aber dieser Augenblick wird mir als schönster  Moment in Erinnerung bleiben: Die Berge, der blaue Himmel, meine Dankbarkeit über mein Leben, die Melodie des Dudelsackspielers – ich kann nicht anders, ich bin so ergriffen, dass mir die Tränen kommen. Andere empfinden es genauso und können auch ihre Tränen nicht zurückhalten.

Ein Sturz mit Schrecksekunde

Ich passiere Wixi bei KM 37,9 und damit die letzte Zeitkontrolle. Bis hierher habe ich 5.07 Stunden benötigt. Es ist jetzt kurz nach 13 Uhr. Alle Läufer die nach 14.35 Uhr dort ankommen, werden aus dem Rennen genommen. Jetzt wird der Pfad steiler und enger. Wie Perlen an einer Schnur reihen sich die Läufer auf dem schmalen Weg ein. Schritt für Schritt geht es vorwärts – hinauf zur Moräne. Bei einer Verpflegungsstation greife ich mir einen Pappbecher mit Wasser. Von oben höre ich Axel meinen Namen rufen. Dann passiert es. Eine felsige Stelle, ich trete auf, rutsche ab, der Becher gleitet mir aus der Hand und ich falle mit allen Vieren voran auf den harten Fels. Sofort rapple mich auf, es ist nichts passiert, auf allen Vieren krabble ich über den Fels bis ich mich wieder aufrichten kann. Nur weiter, nur weiter denke ich, halte nicht einmal bei Axel an. Ich will nicht zurückfallen. Nicht jetzt, wo ich doch so weit gekommen bin.

Die letzten Kilometer: Moräne, Schoggi-Felsen und bange Minuten

Alphornbläser begrüßen die Läufer, Schweizer Fahnen werden geschwungen. Die Schlange bewegt sich schier endlos bergauf. Ich erreiche die Moräne. Es ist kalt und windig. Egal, ich will weiter. Habe noch Kraft in den Beinen und überhole zwei Läufer vor mir, die nur sehr schleppend vorankommen. Am Felsen, wo der Weg von der Moräne abzweigt, spielt wieder ein Dudelsackspieler. Diesmal erkenne ich die Melodie: „Nehmt Abschied Brüder“. Lachend recke ich meine Daumen in die Höhe als ich Fotografen entdecke. Jetzt geht es ein Stück bergab, ich laufe und nehme die letzten Schritte hinauf zur Locherflue, dem höchsten Punkt der Strecke. Der Felsen wird liebevoll „Schoggifelsen“ genannt – wegen der Schokolade, die dort für die Läufer bereitgehalten wird. Auch ich greife zu. Lasse mir von freundlichen Mitarbeitern über die felsigen Absätze helfen. So kurz vor dem Ziel zu stürzen, das wäre jetzt fatal. KM 41 ist passiert. Gleich bin ich im Ziel! Ich trabe weiter, genieße die letzten paar hundert Meter. Ein Mann klatscht mir zu „Nur noch 500 Meter, gleich ist es geschafft!“ Der Weg wird steiler, es geht bergab und ist rutschig. Ich gehe auf Nummer Sicher, mache langsam. Einige Läufer hetzen an mir vorbei als würde das Ziel in einer Minute geschlossen werden.

Ich lasse mir bewusst Zeit, breite meine Arme aus und laufe mit einem strahlenden Lächeln nach sechs Stunden und sechs Minuten durch die Ziellinie auf der Kleinen Scheidegg! Meinen Zieleinlauf könnt ihr hier sehen. Ich umarme die Helferin, die mir die Medaille umhängt. Ich bin so glücklich. „Die hast du dir auch wohlverdient,“ sagt sie mir und strahlt.

Axel begrüßt mich auf der Ziellinie. Unglaublich, dass er da ist – er ist die letzten Kilometer zur Kleinen Scheidegg gerannt, um mich im Ziel zu empfangen. Nur wenige Minuten vor mir ist er angekommen. Was für eine tolle Überraschung! Im Ziel warten bereits Tammy und Silke. Olaf, Yvonne und Christoph sind schon beim Duschen. Es folgen bange Minuten. Wird Phil es schaffen? Tammy hat eine SMS erhalten. Phil hat Wixi noch vor dem Zeitlimit passiert. Es müsste also noch reichen. Nur noch wenige Minuten bis Zielschluss! Da, endlich kommt Phil! Auch er erreicht das Ziel als Finisher! Alle sieben Läufer der feg-runners Laufgruppe haben den 17. Jungfrau Marathon als Finisher beendet! Hier ist Phils Zieleinlauf zu sehen – und ich wie ich schier ausflippe, dass auch er es geschafft hat.

Als ich später  in unserer Unterkunft in Lauterbrunnen dusche, bemerke ich, dass ich am rechten Fuß zwei Blasen habe. Während des Laufs habe ich nichts gespürt. Auch am Tag danach habe ich – außer den Schmerzen in der Hüfte (die heute bereits wieder verschwunden sind)  – keinerlei Beschwerden, nicht einmal Muskelkater!

Wir feiern unseren Marathon abends bei einer sehr leckeren Pizza im Restaurant Steinbock in Lauterbrunnen und lassen den Tag in der Ferienwohnung bei leckerem Schoko-Kuchen, den Tammy gebacken hat, ausklingen.

Der Berg, der Weg und ich

Ja, vielleicht muss man schon ein wenig verrückt sein. All diese Quälerei, nur um am Ende ein Stück Blech umgehängt  und ein T-Shirt in die Hand gedrückt zu bekommen.

Ich habe butterweiche Knie und bin ziemlich nervös. Kann ich das wirklich schaffen? 42,195 Kilometer? 1800 Höhenmeter von Interlaken bis auf die Kleine Scheidegg! Habe ich mich damit eventuell übernommen? Momentan fühle ich mich so, als könnte ich keinen Fuß mehr vor den anderen setzen.

Bis nach Lauterbrunnen sind es exakt 25 Kilometer. Dann erst beginnt das Rennen. Der steile Anstieg, 26 Serpentinen hinauf nach Wengen. Doch das ist erst der Anfang. Wenn ich die Skistation Wixi, die ihr oben im Bild sehen könnt, erreicht habe,  steht mir der steilste Anstieg hinauf zur Moräne noch bevor. Die letzten Kilometer werden die härtesten. Und dann ist da noch das Zeitlimit. Sechseinhalb Stunden habe ich Zeit, um das Ziel zu erreichen. Die Station Wixi muss ich bis 14.35 Uhr erreicht haben. Wer später durchläuft, wird aus dem Rennen genommen!

Ich will alles geben, damit ich das Ziel erreiche. Der Jungfrau-Marathon stellt für mich ein ganz besonderes Ereignis in meinem Leben dar. Es ist ein Lebenslauf! Ein Marathon geht über die Distanz von 42.195 Kilometer. Dieses Jahr habe ich mein 42. Lebensjahr erreicht. Das Leben ist nicht einfach. Soviel habe ich begriffen. Es geht nicht immer alles nur leicht und easy. Vieles muss man sich im Leben hart erarbeiten. Genau so verhält es sich mit einem Marathon. Einen Marathon laufen, das ist keine leichte Sache. Dafür muss man lange und hart trainieren. Auf vieles verzichten. Früh aufstehen und laufen, auch wenn es draußen regnet. Deshalb hat die Finisher-Medaille und das Finisher-Shirt einen ganz besonderen Wert. Das kann man nämlich nicht kaufen. Das muss man sich erlaufen.

Dieser Marathon ist für mich ein Meilenstein. Ich bin dankbar für all die 42 Jahre, die ich leben durfte. Ich weiß nicht, wie viele Jahre mir noch bevorstehen, deshalb sage ich danke auf jedem Kilometer. Es ist ein Geschenk, dass ich es bis hierher geschafft habe. Ein Kilometer für jedes Lebensjahr, das ich leben durfte. Ein Lebenslauf über 42 Kilometer um Danke zu sagen. Für all das Schöne, das ich in meinem Leben erlebt habe. Ich sage Danke an meinen Gott und Schöpfer für mein Leben, für meine Gaben, meine Kreativität, meine Eltern, Geschwister, Freunde und für das Beste von allem – für meinen Mann Axel, der mich supported und mich anfeuert, damit ich das Ziel erreiche.

Ich bin dankbar und freue mich darauf, zusammen mit sechs anderen aus der Laufgruppe am schönsten und schwersten Marathon Europas zu starten! Meinen ersten Marathon in Hamburg 2008 bin ich ebenfalls mit sechs anderen aus der Laufgruppe gelaufen. Wir blieben als Gruppe zusammen und haben gemeinsam das Ziel erreicht. Was für ein Zieleinlauf – Hand in Hand! Beim Jungfrau-Marathon bin ich auf mich gestellt. Der Berg, der Weg und ich. Trotz 4000 anderen Läufern bin ich alleine unterwegs. Ich muss meine Kräfte einteilen, nicht zu schnell, nicht zu langsam. Ich bin alleine mit mir und meinen Gedanken. Aber ich weiß, dass Gott bei mir ist. Er lässt mich nicht alleine! Das hat er mir versprochen.

Ich bin gespannt, aufgeregt, nervös und einfach nur dankbar, dass ich an diesem Event teilnehmen darf. Eben rief mich eine Freundin an, die gerne als Support mitgekommen wäre. Sie erzählte mir, dass es einfach ein Vorrecht ist, dass wir dieses Rennen laufen können. Andere Menschen haben nicht einmal genügend Wasser zum Trinken. Ich habe in den vergangenen Tagen literweise Wasser getrunken, damit ich gut hydriert in den Lauf starten kann.

Ich freue mich, wenn ihr am Samstag 9 Uhr an mich denkt. Ich trage die Startnummer 3571. Mein Lebenslauf beginnt! Natürlich werde ich berichten, wie es gelaufen ist. Ergebnisse und Informationen findet ihr auf der Website des Jungfrau-Marathon. Hier findet ihr einen Film vom Marathon 2008.