Wie mich unterwegs das Glück fand

„Wie mich unterwegs das Glück fand“ – so beginnt das erste Kapitel. Leider nicht ein Kapitel aus meinem Buch, denn mich hat das Glück noch nicht gefunden. Was vielleicht daran liegt, dass ich meistes zu Hause hocke. Somit ist die Chance gleich Null, von irgendwem oder was gefunden zu werden.

Christine Thürmer ist von Berufes wegen Weitwanderin. Sie ist an die 50.000 Kilometer zu Fuß gewandert und hat unterwegs so einiges erlebt – und überlebt und wurde vom Glück gefunden. Wie das geht? Das wollte ich herausfinden und habe das Buch „Weite Wege Wandern“ gelesen.

Christine Thürmer ist die wohl meist gewanderte Frau der Welt, hat über 2000 Nächte im Zelt geschlafen, 37 Länder durchwandert, 35 Paar Schuhe verschlissen und laut eigener Aussage „rund eine halbe Tonne Schokolade verdrückt“. In ihrem Buch „Weite Wege Wandern“ gibt sie ihre Erfahrungen und Tipps weiter. Unkonventionell, humorvoll und stellenweise durchaus wahnwitzig.

Als Reisejournalistin bin ich ja selber ziemlich weit rumgekommen in der Welt. Mit dem Buschflugzeug in der kanadischen Arktis, mit dem Fahrrad in Neuseeland, mit dem Expeditionsschiff in der Antarktis, Wandern in Taiwan um nur einige Highlights zu nennen. Alles Pippifax im Vergleich zu Christine Thürmer, der wohl außergewöhnlichsten Weitwanderin der Welt. Gleich im ersten Kapitel kommt sie zur Sache, warum Weitwandern glücklich macht.

Da ich ihr seit einiger Zeit auf Instagram folge, war ich neugierig geworden und habe mir ihr erstes Buch „Laufen, Essen, Schlafen“ gekauft. Darin beschreibt sie ihre ersten Weitwanderungen unter anderem auf dem Pacific Crest Trail und dem Appalachian Trail. Nach der Lektüre war klar, ich will ihr neustes Werk lesen. Also Verlag angeschrieben und wenige Tage später war das Rezensionsexemplar im Briefkasten.

So flott geschrieben wie Christine Thürmer wandert

Nun habe ihr neuestes Buch „Weite Wege Wandern“ gelesen und danach in mein Buchregal geguckt. Dort stehen in Reih und Glied:

  • „Come back alive“ von Robert Young Pelton
  • US Army Survial Handbuch
  • SAS Survival Guide
  • National Outdoor Leadership Wilderness Guide
  • „Bushcraft“ und „Überleben in der Natur“ von Lars Konarek

Endlich kann ich Platz im längst übervollen Regal schaffen, denn das, was Christine Thürmer in ihrem Werk an Tipps weitergibt, damit steckt sie locker die anderen Bücher in die Tasche.

Die Ausrüstung wird massakriert

Als Ausrüstungs-Junkie der ich nun einmal bin, hat mich die Autorin ziemlich ernüchtert. Sie lässt sich nicht mal von einer der vielen bekannten Outdoor-Marken sponsern, sondern kauft ihre Ausrüstung lieber Low Budget, um sie dann noch entsprechend zu optionieren. Was im Fall von Christine Thürmer bedeutet, dass sie ihre Ausrüstung massakriert. Da wird geschnippelt, gesägt, abgetrennt. Das betreibt sie ziemlich krass, denn wer kommt schon auf die Idee, die Etiketten aus den Klamotten entfernen – aus Gewichtsgründen?

Ich schneide sie hin und wieder raus, aber nur wenn sie mich kratzen, was aber leider mit einem Loch im neu erstandenen Bikini oder sauteuren Merino-Wollshirt endete.

Als Minimalistin hat Thürmer ihre Ausrüstung auf maximal 6 Kilogramm reduziert – mein Rucksack wiegt schon mal fast halb so viel, ohne Inhalt wohlgemerkt. Für mich ist das alles rätselhaft. Besonders die Autorin, die so gar nicht nach der meist gewanderten Frau der Welt aussieht. Ich könnte sie mir als Pastorin vorstellen oder als Lehrerin, selbst ihr früherer Beruf, Managerin, genauer gesagt eine hartgesottene Firmensaniererin, würde ich ihr auf den ersten Blick nicht zutrauen.

Alles an Christine Thürmer ist unkonventionell

Genau das macht das Buch so spannend und interessant.

Denn die Frau, Geburtsjahrgang 1967, hat enorm was auf dem Kasten, bzw. in den Beinen. Ganz sicher hat sie mehr erlebt als die muskelstrotzenden Bushcrafter, die sich mit langen Bärten und Macheten und 30 Kilo schweren Tornister-Rucksäcken durchs Unterholz schlagen und alles auf YouTube oder DMAX zum Besten geben.

Ich habe sie per Instagram gefragt, ob sie in Vorbereitung ihrer Wanderungen ein Survival-Camp besucht oder entsprechende Lektüre gelesen hat. Natürlich nicht. Die Frau lernt alles „on the go“.

Schwarzwälder Kirschtorte zum Frühstück

Wer locker tagtäglich bis zu 40 Kilometer durch die Weltgeschichte wandert, sich abends einen (versteckt gelegenen) Zeltplatz sucht, um sich vorm zu Bett gehen (auf die harte ISO-Matte legen) eine Portion Maultaschen kocht (die Autorin scheint sich überwiegend von Schwarzwälder Kirschtorte (gerne auch zwei Stück zum Frühstück) und Maultaschen zu ernähren, so jedenfalls der Eindruck, wenn man ihren Instagram-Stories folgt), der hat entweder eine Schraube locker oder ist ziemlich gut drauf und hat dem Leben etwas abgewonnen, das mehr wert ist als eine Karriere als Managerin mit Top Gehalt und Firmenwagen.

So sieht sie aus, die meist gewanderte Frau der Welt ©Piper Verlag

Das Buch „Weite Wege Wandern“ ist Erfahrungsbericht, Praxisbuch, Nachschlagewerk und Motivationstrainer in einem. Und so flott geschrieben wie sie wandert. Und es gibt nichts, was ausgelassen wird. 285 Seiten voller Tipps und Einsichten aus einem Leben draußen in der Natur. Die Frau weiß, was funktioniert und was nicht. Und sie liefert die entsprechende Erklärung dazu, kompetent und einleuchtend. Warum man im Quilt besser schläft als in einem hochwertigen Daunenschlafsack, weshalb eine Mülltüte ein besserer Regenschutz ist als die teure Gore-Tex-Hose und warum man als Weitwanderer um Gottes Willen keine Wanderstiefel tragen sollte.

Oh, die Ausrüster werden ihre helle Freude an Frau Thürmer haben!

Ob Blasen, Pipimachen, Wunden versorgen, Flüsse durchqueren, in Schneelöcher fallen (und dabei noch einen Schuh verlieren), es gibt nichts, was es nicht gibt. Christine Thürmer hat es erlebt und überlebt. Geballtes Wissen, das einem so ziemlich alles an die Hand gibt, um selber einen Langstreckentrip zu planen und durchzuführen. Sie zeigt auf, wie sie ihr Budget plant, wie sie die Strecke auf Google nach Supermärkten und Läden absucht, alles akribisch festhält (Öffnungszeiten etc.) um sich danach nur noch auf eines zu konzentrieren: das Wandern. Die penible Planung hält ihr den Kopf frei und sie kann die Zeit maximal fürs Wandern nutzen, ohne unterwegs mühsam nach offenen Läden und dergleichen zu suchen.

Die zahlreichen Bilder geben einen eindrucksvollen Einblick in das Leben der Weitwanderin

Diese Frau ist ein Phänomen! Und falls sie eines Tages mal den Schwarzwald durchwandern sollte, hat sie bei mir ein, gerne auch zwei große Stücke Schwarzwälder Kirschtorte gut!

Sollte sie mich überhaupt zu Hause antreffen. Denn das Buch macht vor allem eins: Enorm Lust, selber loszuwandern.

Christine Thürmer, Weite Wege Wandern, 288 Seiten, Klappenbroschur, erschienen im Piper Verlag, 18 Euro

mehr Infos zum Buch auf der Verlagswebseite
Christine Thürmer befindet sich aktuell auf Wanderschaft. Folgt ihr auf Instagram unter @christine_thuermer

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