Martin Feifel trifft auf Johannes Beyerle

Der Schauspieler Martin Feifel trifft auf den Künstler Johannes Beyerle. Eine Begegnung mit Tiefgang und starken Worten.
Anlässlich der Vernissage zur Ausstellung UNTER DEINER HAUT las Martin Feifel am 12. Otober 2023 im Kur- und Festspielhaus Badenweiler aus dem neuen Manuskript von Johannes Beyerle. Eine Wortperformance, die UNTER DIE HAUT ging.

Vorsichtig löse ich solch ein zartes Blatt heraus. Es reißt ein. Beim zweiten Versuch bin ich vorsichtiger, ziehe mit dem Daumennagel einen Falz und trenne es in gerader Linie ab. Kaum spürbar liegt es in meiner Hand, raschelt wie Seidenpapier. Ich streiche es glatt, aber schon beim ersten, zögerlichen Satz entsteht ein Riss, die Miene meines Bleistifts ist zu hart und zu spitz.
Mit neuem Stift und weicher, abgerundeter Miene bleibt es unversehrt.

Martin Feifel löst vorsichtig die Worte aus dem Papier, als wären sie fragile Goldflitter

Martin Feifel

Martin Feifel liest.

Er spricht, schärft, schleift, formt Sätze mit Mimik und Gestik, lässt Sätze schweben, sie legen sich über den Raum, füllen ihn mit transzendentem Ambiente. Feifel schürft in Johannes Beyerles Manuskript nach verborgenen Schätzen, löst die Worte vorsichtig aus dem Papier, als wären sie fragile Goldflitter.

Martin Feifel liest. Sein Körper bebt.

Martin Feifel, Worte – gewaltig und fragil

Buchstabe um Buchstabe, Wort um Wort erweckt er das Geschriebene mit seiner Sprache, ein Bildhauer der Worte, so wie Johannes Beyerle mit seinen Händen aus Lehm, Stroh und Stein seine Skulpturen formt und sie mit geheimnisvollen Inschriften versieht. Martin Feifel wird zum Medium, der den sphärischen, intensiven Worten von Johannes Beyerle einen mystischen Ausdruck verleiht. Das ist Wortkunst, vorgetragen von einem hervorragenden Schauspieler, der die Texte in sich aufsaugt, wie ein Dürstender, der eine Quelle mit lebensspendendem Wasser gefunden hat.

Martin Feifel liest. Worte. Die UNTER DEINE HAUT gehen.

Martin Feifel

Es ist Kunst, die volle Aufmerksamkeit fordert, denn sie besteht nur für den Augenblick bevor die Worte verhallen wie ein flüchtiger Nebel. Es sind Worte vorgetragen von einer Stimme, die bis zum Abgrund vordringt, die im wahrsten Sinne der Ausstellung UNTER DIE HAUT gehen. Worte, die wie eine anbrechende Morgenröte strahlen und die Dunkelheit durchdringen. Als die Worte Martin Feifels langsam verklingen, ist es ganz still, bevor die Zuhörer mit ihrem Applaus diese einfühlsame, eindringliche Performance feiern.

Ein audiovisueller Ausschnitt von der Lesung am 12. Oktober 2023 in Badenweiler

UNTER DEINER HAUT

Ich betrachte die Büsten und Skulpturen. Die Augen, Nasen, Lippen, die mysteriösen Inschriften, das Gekritzel, nur einige wenige Worte kann ich entziffern. Die Köpfe wirken auf geheimnisvolle, eigenartige Weise sehr lebendig. Wer schaut hier wen an? Was sind das für Wesen, was ist ihre Geschichte und weshalb schauen sie mich so wissend an? Ich will sie ergründen, ohne Kamera in der Hand, ohne mein Auge am Sucher. Das braucht Ruhe und Zeit.

Johannes Beyerles Geschöpfe fordern heraus. Sie zwingen uns zum Nachdenken über unser eigenes Sein. Denn auch wir sind fragile Geschöpfe, zerfallen eines Tages zu Asche und Staub. Welche Inschriften tragen wir, wenn wir diese Welt verlassen? Welche Konturen hinterlassen wir, welche Kerben und Schrammen haben sich in unseren Lebenslauf eingeschnitten?

Ich will noch einmal hingehen, ins Kur- und Festspielhaus nach Badenweiler und mich der Begegnung stellen, die UNTER MEINE HAUT geht.

Martin Feifel trifft auf Johannes Beyerle

Johannes Beyerle und Martin Feifel. Zwei Künstler. Der eine mit Bleistift, Papier, Pergament, Lehm, Stroh, Stein, der andere mit seinem Körper, mit seiner Sprache, seinem Ausdruck. Zwei, die ihre Kunst bis in die letzten Winkel ihrer Seele ausloten, Tage und Nächte mit sich ringen, um dem Unaussprechlichen Gestalt zu verleihen.

Johannes Beyerle

Es waren die Worte von Johannes Beyerle, geschrieben in seinem ersten Zeichenroman „Und in der Ferne Schnee“, die Martin Feifel in seinen Bann gezogen haben. Er wollte, nein, er musste diese Worte lesen und den Menschen kennenlernen, der sie geschrieben hatte.
Martin Feifel und Johannes Beyerle. Wer sie nach der Lesung zusammen gesehen hat, wie sie miteinander gesprochen haben, spürte, dass zwei gleichgesinnte Seelen aufeinander getroffen sind.

Johannes Beyerle, Martin Feifel
Martin Feifel, Johannes Beyerle, zwei Künstler, die bis in die Tiefen ihrer Seele dringen

Transistoren und Frequenzen

Eine Seite des gelesenen Manuskripts liegt vor mir, während ich diesen Text schreibe. Martin Feifel hat es mit Anmerkungen versehen. Hier ein Strich, dort ein Punkt. Eigentlich ist es nur ein Blatt Papier, auf dem ein Text gedruckt ist. So wie die Torsi von Johannes Beyerle nur Figuren aus Lehm und Stroh sind. Eigentlich. Das Blatt Papier, die Figuren, die Sprache, es sind Transistoren, deren Frequenzen aus der Tiefe der Künstlerseele heraus zu uns hindurch dringen, wenn wir uns darauf einlassen.

Ich freue mich auf weitere Begegnungen der Künstler, der eine aus der Metropole München, der andere aus dem Bergdorf Vogelbach im südlichen Schwarzwald. Und bin gespannt, welche Worte Johannes Beyerle bis dahin mit seinem Bleistift auf die vielen Papiere schreibt, welche Inschriften er auf seinen Zeichnungen hinterlässt und welche Worte Martin Feifel beim nächsten Zusammentreffen der beiden lesen wird.

Johannes Beyerle im Gespräch mit Besuchern

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