Warum wir die Fähigkeit zur Dunkelanpassung verlernen – Interview mit Prof. Dr. Hartmut Rosa

Über die Faszination, in einer dunklen Nacht, in die Sterne zu gucken
Interview mit Prof. Dr. Hartmut Rosa

Richtig dunkel wird es nachts nicht mehr. In den Städten hellen künstliche Lichtquellen das Nachtdunkel immer mehr auf. Die Folge: Wir sehen nachts kaum noch Sterne am Himmel. Prof. Dr. Hartmut Rosa, Professor für Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, stammt aus dem Schwarzwald und ist leidenschaftlicher Sternengucker. Im Interview verrät er, warum wir unsere Fähigkeit zur Dunkelanpassung verlernen und dass die Angst vorm Dunkeln von unserer stammesgeschichtlichen Prägung herrührt

„Weißt du, wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt“, lautet die erste Zeile des bekannten Volksliedes von Wilhelm Hey. Aber wer in einer sternklaren Nacht in den Himmel blickt, darf sich glücklich schätzen, wenn er überhaupt noch Sterne sieht. Woran liegt das?

Prof. Dr. Hartmut Rosa
„Tatsächlich nimmt die ‚Lichtverschmutzung‘ immer mehr zu: Weil wir unsere Städte und Straßen, und inzwischen ja häufig auch unsere Dörfer und kleinen Wege, mit immer mehr und stärkeren Lampen bestücken, das sich am Himmel als ‚Streulicht‘ ausbreitet, ist es oft schlicht nicht dunkel genug, um Sterne zu sehen. Hinzu kommen andere Arten der Luftverschmutzung wie etwa der ‚Smog‘, der natürlich die Sicht in den Himmel ebenfalls massiv beeinflusst. Aber es kommt noch etwas anderes hinzu: Die Augen brauchen eine gewisse Weile, bis sie sich auf einen dunklen Himmel eingestellt haben, bis sie ihre Lichtempfindlichkeit voll ausgebildet haben. Wer nur wenige Sekunden oder auch ein paar Minuten an den Himmel blickt, sieht also viel weniger als jemand, der sich die Zeit nimmt, den Himmel sorgfältig zu studieren. Aber diese Zeit nehmen wir uns kaum noch – vor allem deshalb nicht, weil es zu viele Bildschirme gibt: Fernseher, Computer, Smartphones – die uns nicht nur ablenken, sondern unsere Fähigkeit zur Dunkelanpassung auch noch verderben.“

Die Nacht wird immer mehr zum Tag, nicht nur in den großen Metropolen. Straßenbeleuchtung, Werbung, Fluchtlichtanlagen, Bewegungsmelder, angestrahlte Kirchen, Parkplätze. Fürchtet der moderne Mensch eine stockdunkle Nacht?

Prof. Dr. Hartmut Rosa
„Nun ja, eigentlich war den Menschen die stockdunkle Nacht immer schon unheimlich. Dass sich unsere Nackenhaare sträuben, wenn wir alleine in der Dunkelheit durch einen Wald gehen, liegt nicht an den Horrorfilmen, sondern an lange zurückliegenden stammesgeschichtlichen Einprägungen. Aber wir haben die dunkle Nacht aus unserem Leben verdrängt, wir setzen uns ihrer Erfahrung nicht mehr aus. Wir können überhaupt Stille, Ruhe, und Einsamkeit kaum mehr ertragen: Wenn sich wirklich einmal so etwas einstellt, versuchen wir sie verzweifelt zu füllen – wir tasten nach dem Einschaltknopf für den Fernseher, nach dem Smartphone, um uns zu stimulieren. Insofern stimmt es schon: Wir fürchten uns vor Situationen, in denen wir uns selbst begegnen, uns selbst ausgesetzt sind – und unter einem dunklen Himmel sind wir mit uns und der Ewigkeit alleine. Das löst Fluchttendenzen aus.“

Die Milchstraße - fotografiert im Grasslands National Park Saskatchewan, Kanada © Birgit-Cathrin Duval
Die Milchstraße – fotografiert im Grasslands National Park Saskatchewan, Kanada © Birgit-Cathrin Duval

Als passionierter Hobbyastronom kommen Sie zum Sternegucken in den Schwarzwald Warum gerade dorthin?

Prof. Dr. Hartmut Rosa
„Dass ich mich in Grafenhausen zu Hause fühle und immer wieder dorthin zurückkehre, hat schon seinen Grund. Es gibt mir die Möglichkeit, in die Stille der Natur und die Einfachheit des Landlebens zurückzukehren, und der Himmel ist dort wirklich außerordentlich klar. Das liegt nicht nur an der ländlichen Gegend und den einsamen Waldflächen, über denen es keinerlei Streulicht gibt, vor allem nachts nicht, wenn dann auch noch die Straßenbeleuchtung im Dorf ausgeschaltet wird. Sondern es liegt auch an der Höhe: In fast 1000 Metern Meereshöhe ist der Nachthimmel viel, viel klarer als in der Ebene. Sie sehen von dort oben mühelos und mit bloßem Auge die aus Milliarden von Sternen bestehende Milchstraße, und sogar unsere Nachbargalaxis, den Andromedanebel, können sie ohne Fernglas erkennen. Das liegt daran, dass mit zunehmender Höhe die sichtbehindernrden Luftschichten dünner werden. Dieser Effekt verstärkt sich noch in der klaren Frostluft über Schneeflächen. Auch in diesem Sinne ist daher der Südschwarzwald privilegiert – wunderschön ist er sowieso.“

Großer und kleiner Wagen, das Himmels-W und der Orion, das sind markante Sternbilder. Kennt man sich heute im allgemeinen noch am Sternenhimmel aus?

Prof. Dr. Hartmut Rosa
„Nein, überhaupt nicht mehr, da helfen auch die vielen Fernsehsendungen, Planetarien und wissenschaftlichen Zeitschriften nicht mehr: Wer sich am Nachthimmel orientieren will, muss das üben, er muss wirklich rausgehen und sich darauf einlassen. Wer das nur ein oder zweimal im Jahr versucht, wird die Sternbilder nicht wiederfinden, weil sich der Himmel auf gleich zweierlei Weisen dreht. Das ist übrigens wie beim Pilzesammeln oder beim Vögelbestimmen auch. Lesen und Hören reicht nicht, es bedarf der Übung. Zwar kaufen sich immer mehr Menschen teure Teleskope – aber wirklich benutzen können sie sie meistens nicht. Inzwischen ist die Technisierung so weit vorangeschritten, dass die Teleskope die Sternbilder selber finden. Ehrlich gesagt empört mich das geradezu: Es nimmt dem Nachthimmel sein Geheimnis.“

Der 1165 Meter hohe Hochblauen im Südschwarzwald ist ein beliebter Ort zum Sternegucken © Birgit-Cathrin Duval
Der 1165 Meter hohe Hochblauen im Südschwarzwald ist ein beliebter Ort zum Sternegucken © Birgit-Cathrin Duval

Worin besteht Ihre Faszination für die Sterne?

Prof. Dr. Hartmut Rosa
„Sterne faszinieren mich seit jeher. Als ganz kleines Kind habe ich schon geträumt, alleine unter einem sternübersäten Himmel zu stehen. Die Sterne lassen uns von ganz anderen Welten, Zeiten und Räumen träumen. Sie machen uns klar, wie klein und endlich wir sind – und geben uns gerade deswegen einen Sinn für das Ewige, Große, Unendliche zurück. Und ich finde es sogar schön, dass wir noch ganz wenig über sie wissen: Sie bergen noch jede Menge Geheimnisse. In ihrem Angesicht wird unser irdisches Gehetze und Gerenne relativiert. Und doch erlauben sie uns die Aufrechterhaltung der Vorstellung einer All-Einheit, der Idee, dass die Dinge doch irgendwie zusammengehören und zusammenhängen, das das Weltall ein Resonanzsystem bildet. Wenn ich in die Sterne sehe, kriege ich einen Sinn dafür, ohne dass ich das rational gut begründen könnte. Deshalb liebe ich sie.“

Lesen Sie mehr zum Thema Lichtverschmutzung in diesem Artikel.

Ein Gedanke zu „Warum wir die Fähigkeit zur Dunkelanpassung verlernen – Interview mit Prof. Dr. Hartmut Rosa“

  1. Hallo Birgit-Cathrin, ein Logbuch ist ein auf einer Website geführtes und damit meist öffentlich einsehbares Tagebuch oder Journal. So steht es in Wikipedia. Du hast es zusätzlich mit vielen tollen Bildern versehen. Du solltest wissen, dass ich dich über die Fotografie-Blog-Bühne gefunden habe. Ich würde mich sehr freuen, wenn du auch mal auf meinem Blog vorbei surfst und einen Kommentar abgibst. Zum Beispiel gibt es ein Announcement hinsichtlich eines neuen Fotoprojekts von https://paleica.wordpress.com und mir. Am kommenden Montag startet es. Vielleicht hast du ja Zeit und Lust, mit zu machen?! Bei den hier gezeigten guten Bildern von dir wärst du eine Bereicherung für das Projekt. Näheres unter: http://dschungelpinguin.com/montag-der-2-februar-2015/
    Ich freue mich schon heute, wieder von dir zu lesen. Immer gut Licht und ganz viel Ideen für weitere schöne Bilder! Beste Grüße, Andreas
    http://dschungelpinguin.com

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