„Walden – Die Natur will dich zurück“ heißt ein neuer Magazintitel, den man im urbanen Blätterdschungel der Bahnhofs- und Tankstellenkioske erwerben kann. Walden hat seinen Namen vom Buchklassiker Henry David Thoreaus „Walden, ein Leben in den Wäldern“, der vor 160 Jahren ein selbstbestimmtes freies Leben in der Natur praktizierte. Der Titel ist Programm: „Draußen wartet mehr auf uns. Wir müssen nur wieder einmal aufbrechen“, heißt es im Editorial.
Was „Flow“ für die Frau, ist „Walden“ für den Mann. Ein Magazin, das den Leser zurück zu den Wurzeln bringt, zu den einfachen, handgemachten Dingen. „Lass dich raus! Die Wildnis beginnt vor der Haustür“ schallt es dem Leser entgegen. Bei „Walden“ sollen Männer wieder raus in die Natur, sollen draußen schlafen, Feuer machen, Kanus bauen. Als Anregung gibt es viele schöne Fotos und den „Walden Field Guide“, ein kleines Heftchen zum herausnehmen.
Das Heft musste ich mir ansehen. Denn das Buch Walden gehört zu meinen Lieblingsbüchern seit meiner Jugend. Da Kioske in meiner Gegend rar sind, bestellte ich das Heft im Internet. Kostete zu den 7,50 Euro noch Versand. Das Buch Walden kostet grad mal 2,40 Euro mehr.
Ein wenig erinnert mich das Magazin an ein Heft meiner Kindheit. Damals kaufte ich mir „Yps mit Gimmick“. Yps war genial. Da gab es immer so interessante Geschenke – eben Gimmicks – als Heftbeilage. Aus Yps habe ich meine erste Kamera, die tatsächlich Bilder machte. Oder ein Zelt, mit dem ich damals im Garten übernachtet habe. So lange bis die erste Spinne in die offene Plane kroch. Und: Es gab Urzeitkrebse zum selber züchten. Yps hat mich das Entdecken und Beobachten gelernt. Daran muss ich jetzt denken, als ich den Field Guide sehe.
Sieben Seiten sind dem „Mikro-Abenteuer“ gewidmet. Darin beschreibt der Abenteurer Alastair Humphreys kleine Alltagsfluchten: Einmal um die eigene Wohnung wandern. Dazu nehme man eine Tasse, setze sie auf die Landkarte, ziehe einen Kreis und fertig ist die Marschroute. Oder in einem Fluss schwimmen und unterm Sternenhimmel übernachten. Dann, zurück in der Stadt stellt er fest, dass er einiges gelernt hat: Das Essen schmeckt besser, wenn man es sich selber zusammengesucht hat. Und, als er in der U-Bahn, nach Wald und Lagerfeuer riechend, sitzt, überkommt ihm die Erkenntnis, dass er die Welt um sich herum nun viel intensiver wahrnimmt. Unter anderem fällt ihm auf: „Die Frauen sind schöner.“
Und weil Mann ja wissen muss, was dort draußen in den Wäldern alles so keucht und fleucht gibt es Deutschlands „Big Five“ erklärt. Vom Murmeltier zum Rothirsch, vom Feldhasen zum Wildschwein. Außerdem eine Anleitung zum Kanubauen und wie man das richtige Taschenmesser findet. Und man lernt immer etwas Neues: „Vom penislosen Leben der Eule“ beispielsweise. Und, jetzt wird es immer unsinniger: „13 spektakuläre Arten, im See einzutauchen“ sowie eine Schritt für Schritt Anleitung zum Spielen des Bob Dylan Songs „Blowin’ in the Wind“ – auf der Gitarre, damit man abends am knisternden Lagerfeuer beeindrucken kann. Die Frage ist nur wen, denn die schönen Frauen, die sind ja in der Stadt geblieben.
Die Grundvoraussetzungen, so erfahre ich, sind: Eine Gitarre, Fingerspitzengefühl sowie mathematisches Grundverständnis. Diese Anleitung hat übrigens eine Frau geschrieben und dafür schäme ich mich als Leserin in Grund und Boden.
Überflüssig sind die Produktvorstellungen, unterteilt auf „für den Wald“, „für den See“ und „für den Berg“, aber gut, Mann muss ja wissen, mit welchen Dingen er sich für sein Outdoor-Abenteuer ausrüsten muss.
Da lese ich doch lieber die Reportage von Sebastian Junger „Colters Lauf“. Darin geht es um die Frage, was Menschen in die Wildnis treibt, wo es dort doch ungemütlich und gefährlich zugeht. Junger hat eine interessante Antwort auf die Frage: Die Gefahr, an Langeweile zu sterben, ist genauso real wie die Risiken, die draußen lauern.“ Also lieber vom Bär gefressen, als zu Hause auf der Couch verelenden.
Die zweite Reportage widmet sich dem Kultbuch von Jon Krakauer In die Wildnis: Allein nach Alaska über das Leben von Chris McCandless. Die Geschichte rollt noch einmal die Todesursache des in Alaska verhungerten Aussteigers auf. Die ist nicht neu aber gut aufgemacht und interessant zu lesen.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich ein Mann aus meinem Dorf das Magazin kauft. Bei uns fängt die Wildnis nicht vor der Haustür an, wir leben mittendrin. Hier leben echte Kerle. Solche, die draußen sind, Bäume fällen und Holz hacken, die Bärte haben (weil sie den schon immer hatten und nicht einer Mode folgen). Die keine teuren Outdoor-Markenklamotten tragen, sondern Arbeitskleidung von Engelbert-Strauss. Die nicht nur Messer besitzen, sondern Gewehre, mit denen sie auf die Jagd gehen. Walden ist also eher ein neumodisches Magazin für urbane Hipster. Das sind die, die mit Bärten, Boots und Holzfällerhemden einen auf Kerl machen, während sie tagsüber in irgendwelchen trendigen Büros Texte oder irgendwas mit Design entwerfen.
Eins muss man den Blattmachern zollen: Respekt und Anerkennung. Sie haben ein wunderschönes Heft gestaltet, das einfach Freude macht, es zur Hand zu nehmen. Ohne Hochglanzdruck und mit liebevoll gemachten Illustrationen. Das ist großartig gelungen. Auch der Field Guide ist hübsch. Ein kleines Heftchen im Retro-Look, das zeigt, dass nicht immer alles Digital und zum Download sein muss.
Genial sind die Zeichnungen des Kartographen Matthew Rangel vom Karwendelgebirge. Eine Art Reisetagebuch mit wunderschönen Skizzen. Da will man sich am liebsten gleich ein Moleskine kaufen und selbst mit Zeichnen anfangen.
Walden ist Magazin, das in erster Linie Gefühle weckt: Die Sehnsucht nach „off“. Nach Natur, nach Stille, nach Wald, Wasser und Luft. Es passt zum Zeitgeist. Man ist der digitalen Welt überdrüssig, in der man die Aktivitäten der Freunde „liked“ statt gemeinsam mit ihnen Abenteuer erleben. Oder um es mit den Worten von Henry David Thoreau zu sagen: „Vereinfache dein Leben.“ Statt abends im Netz die neusten GoPro Videos anzugucken ist es wunderbar entspannend, das Heft zur Hand nehmen und sich an den schönen Zeichnungen und Illustrationen zu erfreuen.
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