WOLF: Flow-Magazin im Wolfspelz

Das neue Magazin WOLF präsentiert sich als Männermagazin fürs Wesentliche. Es will weniger Tempo und mehr Leben bieten. Entschleunigung. Achtsamkeit. Inspiration. Für Männer. Ist es das, wonach die Männer im Leben suchen? Kann die maskuline Version von FLOW/WOLF – (Flow rückwärts gelesen) bei den Lesern ebenso punkten wie die Flow bei ihrer weiblichen Leserschaft? Wir haben uns das Heft angesehen und wagen eine erste Einschätzung.

Der Titel

Ein orangefarbener Bulli an einem See oder Meer parkend. Alles in recht pastell-verbleichten Tönen, wie man das heute so häufig sieht. Als hätte man die Bilder weichgespült. Ja, ein Bulli ist nett. Aber auch langweilig. Weil man genau dieses Foto schon so oft gesehen hat. Es ist beliebig geworden. Nicht mehr einzigartig. Klar, es möchte uns Coolness, Unabhängigkeit, Freiheit suggerieren. Fehlt nur noch der Typ, der auf dem Dach sitzt und Gitarre spielt. Aber ehrlich, mir gehen derartige Fotos auf Instagram sowas von auf den Wecker. Bulli auf der Landstraße, Bulli in der Stadt, Bulli am Meer, Bulli in den Bergen. Bulli überall. Abgeluscht. Zeigt mir was Frisches, was Neues. Ein Bild, eine Geschichte, die einen Hüpfer im Herz auslöst. Ein Bulli tut das längst nicht mehr. Unter dem Titelnamen WOLF steht ein Zitat: „Nur wer seinen eigenen Weg geht, kann von niemandem überholt werden.“ (Marlon Brando). Nie wirkte ein Zitat von Brando deplatzierter wie auf dem neuen Titel von WOLF.

Der WOLF geht um - wie hier am Hauptbahnhof in Stuttgart
Der WOLF geht um – wie hier am Hauptbahnhof in Stuttgart                   Foto: Wolfgang Tischer

Oben links ein orangefarbenes Logo mit „Limited Edition“. Naja, jede Auflage, egal wie hoch sie ist, ist doch „limited“, oder nicht? Rechts unten ein Aufdruck in Form eines Anhängers auf dem die Themen aufgeführt sind. Hätte eventuell funktioniert, wenn es sich um einen echten Anhänger gehandelt hätte, aber nur als Aufdruck. Hm.

Haptik

Das Heft macht, ebenso wie das Schwestermagazin FLOW einen wertigen Eindruck. Das liegt an den unterschiedlichen Papierarten, den schönen Illustrationen, ganzseitigen Fotografien und dem Retro-Autoquartett sowie der Reportage „Verschollen im Ozean“, im Mini-Buchformat zum Herausnehmen.

Fein gemacht: Die Illustrationen sind ein echter Hingucker
Fein gemacht: Die Illustrationen sind ein echter Hingucker

Inhalt

Die Themen, so steht es auf der Titelseite: Mehr offline, mehr Freiheit, nur Mut.

Ich fange an zu lesen. Beim Editorial beschleicht mich ein komisches Gefühl. Es wirkt auf mich seltsam belehrend. Erst wird aufgezählt, wie es um die aktuelle Generation Mann bestellt ist: Hochgeschwindigkeitsleben zwischen Job und Familie. Und was brauchen Männer 2016? Mehr Offline. Platz. Freiheit. Sich auf’s Wesentliche konzentrieren. Entschleunigung. Achtsamkeit. Wer es übrigens seltsam findet, dass ich als FRAU über ein Männermagazin schreibe, dem sei verraten, dass der Chefredakteur(in) des Magazins mit Vornamen Sinja heißt.

Lesenswerte Reportage auf schönem Papier
Lesenswerte Reportage auf schönem Papier

Der Leitartikel von York Pijahn hat mir gut gefallen. Text und Layout mit hervorragenden Illustrationen von Shout fügen sich zum einem stimmigen Gesamtbild. Es geht um die Frage, wie mein Leben mehr Qualität erhält. Zeit haben, sie mit Kumpels verbringen statt mit Klicks in Sozialen Netzwerken. Wahrscheinlich hat mir die Lektüre so gut gefallen, weil der Soziologe Prof. Dr. Hartmut Rosa zititiert wird, dessen Buch „RESONANZ“ ich übrigens als weiterführende Lektüre zum Thema Entschleunigung sehr empfehle.

Merkwürdig finde ich hingegen die vier Seiten mit Schwarzweiß-Fotografien von Paul Newman, Ryan Gosling, Shean Penn und David Bowie mit Kurzbio, die im Heft verstreut sind. Deren Sinn will sich mir nicht erschließen.

Für Coolness sorgen die s/w Fotos von echten Kerlen
Für Coolness sorgen die s/w Fotos von echten Kerlen

Im Kapitel „Sinn und Verstand“ steht die Frage „Was machst du gerade“ im Mittelpunkt. Drei Männer erzählen aus ihrem Leben und Beruf. Ich mag solche Berichte. Gefällt mir. Mehr davon.

Kapitel Beziehungen. Überflüssig. Weg damit. Warum muss immer über Affären geschrieben werden? Bringt doch mal Berichte über Beziehungen, die auch noch nach 40 Jahren Ehe miteinander glücklich sind! Erzählt, wie man sowas schafft. Für Affären braucht es keine Anleitungen, für das andere schon.

Kapitel Lebenslauf. Selbsterfahrungsbericht eines Musikers, der aus dem Up und Down seines Lebens erzählt. Ehrlich, ungeschminkt. Hätte gerne mehr darüber gelesen, wie er es schafft, mit über 50 Jahren noch immer mit seiner Jugendliebe zusammen glücklich zu sein.

Und dann, ab Seite 50 endlich der Kracher! Ich erfahre, was Männer wirklich glücklich macht. Eine Hütte! Jawoll. Eine Hütte am See und wenn das nicht klappt, tut es ein, Achtung: Schrebergarten! Ein Gartenhäuschen, in das man sich zurückziehen kann, in dem man basteln und werkeln darf, in dem die Hosen dreckig werden und in dem man mit der Familie ein ganzes Wochenende offline sein kann! Es stimmt tatsächlich, denn wenn ich meinen Freundeskreis durchgehe, dann haben alle die, die in der Stadt wohnen und Kinder haben, einen Schrebergarten. Und sind völlig happy damit. Kein Spießerbürgertum sondern echte Entschleunigung.

Wobei wir beim Thema Achtsamkeit sind. Dem Bericht von Till Raether sind ganze sechs Seiten gewidmet, auf speziellem Papier. Netter Bericht. Nichts Neues. Mann der sich aufmacht, einen Achtsamkeitskurs zu besuchen. Aber gut geschrieben, unterhaltend.

Das Schwarze Wunder erzählt vom Comeback der Plattenläden und wie toll es ist, wenn man Musik auf Schallplatten gepresst, über Kopfhörer genießt.

Auf Seite 74/75 dann die Edition Long Read. Das Heftchen im Heft zum Herausnehmen. Hach. Ich gebe zu, ich mag das. Macht einfach Freude, das Heftchen herauszunehmen. Wahrscheinlich weil es mich an die Kindheit und YPS mit Gimmick erinnert.

So schön, dass man es nicht herausnehmen möchte: Das Heft im Heft
So schön, dass man es nicht herausnehmen möchte: Das Heft im Heft

Weitere Berichte drehen sich um Minimalismus – wer weniger besitzt hat mehr vom Leben. Auch das ist nichts Neues mehr. Aber es schadet auch nicht, wieder darüber zu lesen. Vielleicht setzt man jetzt einiges davon im echten Leben um?

Das nächste Kapitel widmet sich dem Lesen. Ein Bericht von Stefan Krücken, der einst als Reporter um die Welt reiste (hab ihn irgendwo in einem völlig verschlafenen Nest in einer Kneipe, nein, Saloon im mittleren Westen getroffen, wo wir beide – unabhängig voneinander – an einer Reportage über Rancher arbeiteten). Jetzt hat er vier Kinder, ist sesshaft geworden und hat einen Verlag gegründet.

Das ist jetzt aber nicht euer Ernst?
Das ist jetzt aber nicht euer Ernst?

Danach folgt ein Retroquartett von Filmautos zum Heraustrennen. ??? Ein Quiz. Welcher Wagen gehört zu welchem Film. Achso. Nerd-Wissen. Ok. Weiter.

Es kommt was über Architektur, eine zweiseitige Anleitung zum Meditieren (gähn) und wieder so eine „Ich treffe nach Jahren meine Ex-Story“, die mir die Zeit einfach nicht wert war, sie zu lesen.

Es gibt die unsäglichen Produktvorstellungen, die es in jedem Heft gibt, einen weiteren Entschleunigungs-Artikel von einem, der nur noch mit 100 Besitzgegenständen lebt. Dann folgen eine Anleitung zum Burgermachen (lecker) und Hocker bauen und zum Schluss noch etwas Psychologisches.

Fazit

Nette Unterhaltungslektüre. Aber mehr FLOW als WOLF. Mir fehlt irgendwie der Biss. Das ganze kommt als Männermagazin etwas testestoronschwach daher. Eher wie ein Schaf, dem der Wolfspelz übergestülpt wurde und das auf der Weide völlig deplaziert wirkt. Vielleicht ist WOLF ja in erster Linie ein Frauenmagazin, das FLOW-Leserinnen dabei helfen soll, die Männer besser zu verstehen? Wenn letzteres, dann wird dem Heft Erfolg beschieden sein.

PS: Beim Schreiben dieses Artikels hörte ich mir die Playlist von WOLF Magazin auf Spotify an, der als Background Sound für die Lektüre zusammengestellt wurde. Ich musste nach vier Songs abschalten, weil es mir zu weichgespült war.

WOLF – das Männermagazin fürs Wesentliche erscheint in der Verlagsgruppe Deutsche Medien-Manufaktur (DMM) einer Tochter von Gruner+Jahr und dem Landwirtschaftsverlag Münster. Die erste Ausgabe ist zu einem Preis von 8,50 Euro erhältlich.

Weitere Informationen auf der Webseite von WOLF Magazin

Für die Rezension wurde mir ein Exemplar von WOLF vom Verlag zur Verfügung gestellt.

3 Gedanken zu „WOLF: Flow-Magazin im Wolfspelz“

  1. Sehr amüsant, liebe Birgit! Werde mir das Heft direkt besorgen, Du hast mich neugierig gemacht. „Achtsamkeit für Männer“ finde ich grundsätzlich schon mal sehr gut ;-)!

  2. Vielen Dank Karl-Heinz, ich bin natürlich sehr gespannt, wie dir das Heft gefällt – freue mich auf weitere Kommentare von dir.

  3. Na ja, das „vulgäre“ Verständnis eines Männermagazins hat ja als Thema möglichst viele – natürlich nackte – Frauenhaut zu bieten. Dieses „Klischee“ mit dem psychologistisch-weichgespülten Achtsamkeitsgedödel (ich kann es nicht mehr hören, echt) neu aufzumotzen, und es ein bisschen mit schwarzweißen Kerlen zu verpacken, wäre mir keine 8,50 € wert. Mann – Frau – Auto – Fußball – nicht alles, glaube ich, funktioniert als Magazinthema.
    Was Du scrheibst, reizt einen Mann wie mich nicht zum Kauf.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert