Nachtblaues Dämmerdunkel

Unterwegs auf dem Panoramaweg Bernau öffnet sich dieser grandiose Blick hin zum Herzogenhorn.

Heute morgen habe ich – zufällig – folgenden Abschnitt im Buch „Im Winter des Lebens“ von Hans Thoma gelesen:

 „Es gibt wohl kaum ein größeres Vergnügen für einen Schriftsteller, als so vor einem weißen Bogen Papier zu sitzen und im voraus zu vermuten, zu ahnen, was da alles auf diesem Papierbogen an geistigem Gehalt vertintet wird. Die Feder ist gespannt, im Kopfe wirbelt und brodelt es, nun kann es losschießen, das übrige wird sich finden. Es wird aus Kopf und Feder fließen, nur nicht ängstlich. Ein ähnliches Vergnügen kennt wohl nur noch der Maler, wenn er vor einer reinen Tafel sitzt und sich im Geiste vorstellt, wie sie wohl aussehen wird, wenn er sie mit seinen Flecken (ein verstärkter Ausdruck für Flächen) bedeckt haben wird. Auch er fange unbedenklich an, er ist doch ein Individuum, und da müssen die Flecken seinem Wesen sich gestalten, also mindestens Originalflecken werden. Fast kann er die Ungeduld seiner Palette, seiner Pinsel nicht beschwichtigen, nach jedem Schmiss, den er der reinen Tafel beigebracht, tritt er zurück und sieht, ob er gelungen ist, und misst, wohin der andere Schmiss zu tun ist.“ 

Hans Thoma, Im Winter des Lebens, Seite 156, Eugen Diederichs Verlag München

Da schreibt einer, der keine Schreibblockade kennt! Hach, wenn ich da nur von mir behaupten könnte. „Das übrige wird sich finden“. Das soll wohl meinen: Schreib einfach drauf los. Die Worte werden sich ordnen, werden sich finden, werden Gestalt annehmen. Lass es fließen. Mach dir keine Gedanken. Schreibe drauf los, intuitiv! Nicht denken.

Thoma hat so wunderbare Sätze geschrieben wie

„Über dem Tal liegt schon blauendes Dämmerdunkel, in dem der silberne Bach glänzt.“

„Ich sitze in verworrenen Träumen, in seelischem Dämmerzustand“

„Die blaue Unendlichkeit im Sonnenlicht, im Raumklarheit verscheuchte alle Nachtgespenster, und meine Seele war wieder unsterblich.“

Manchen mögen diese Sätze furchtbar kitschig vorkommen. Ich finde sie wundervoll. Wenn man sie liest, entstehen Bilder vor meinem Auge. Hans Thoma war Maler, er malte nicht nur mit dem Pinsel, er malte auch mit Worten. Eine wunderbare Gabe.

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