Eisbär verletzt zwei Menschen in Churchill

Die Einwohner der Siedlung Churchill an der Hudson Bay leben mitten im Eisbärengebiet. Anfang November, wenn das Eis der Bay zufriert, kommen Hunderte von Eisbären zur Hudson Bay um sich auf’s Eis zu begeben. Nicht selten tappt dabei ein Eisbär durch die Straßen. Churchill lebt mit den Eisbären. Jedes Kind kennt die Telefonnummer des Eisbärennotrufes auswendig. Türen bleiben unverschlossen, in den Autos stecken die Zündschlüssel. Falls plötzlich der Eisbär kommt.

Jedes Jahr im Oktober und November zieht es Tausende Touristen nach Churchill. Churchill bezeichnet sich stolz als “Polar Bear Capital of the World”, als Eisbärenhauptstadt. Zurecht. Denn nirgends sonst auf der Welt gibt es so viele Eisbären zu sehen. Auf riesigen Tundra-Buggies fahren sie in die Tundra, wo sie auf den Plattformen der gepanzerten Fahrzeuge den Eisbären näher kommen als im Zoo. Auf der Seal River Lodge von Churchill Wild, ein exklusives Wildnisresort 60 Kilometer außerhalb von Churchill, kann man den Eisbären auf den Pelz rücken. So nah, dass man kein Teleobjektiv benötigt.

 

Eisbär fotografiert auf der Seal River Lodge © Birgit-Cathrin Duval
Eisbär fotografiert auf der Seal River Lodge © Birgit-Cathrin Duval

Churchill lebt mit den Bären. Jeder ist achtsam, weiß, dass sie unversehens auftauchen können. Der jährliche Halloween Umzug der Kinder ist streng bewacht, viele Einwohner haben ihre Gewehre dabei, Polizei und Wildnishüter kontrollieren die Strecke. Halloween ist ohne besondere Vorkommnisse abgelaufen.

Einen Tag später ist die Stadt in Schock. Ein Eisbär hat zwei Menschen angegriffen und verletzt. Mitten in der Stadt. Der Angriff fand gegen 5 Uhr morgens vor dem Haus von Bill Ayotte statt, einem pensionierten Churchiller Reiseführer. Inzwischen gibt es verschiedene Berichte über den Vorfall. Und wie das bei Medien so ist, gibt es unterschiedliche Ansichten. Deshalb will ich keine Zeitungsberichte zitieren, sondern verlasse mich auf Nachrichten aus erster Hand aus Churchill. Kelsey Elisasson, der das Blog „Polar Bear Alley” betreibt, ist von Camp Nanuk außerhalb von Churchill in die Stadt gefahren, um zu erfahren, was geschehen war. Ich kenne Kelsey persönlich und gebe wieder, was er auf seinem Bog beschrieben hat.

Churchill-at-Night
In der Nähe dieses Hauses hat sich der Angriff ereignet

In den frühen Morgenstunden, gegen 5 Uhr befanden sich zwei Personen auf dem Heimweg, darunter eine junge Frau, die während der Wintersaison in einem der Restaurants arbeitet. Der Bär griff die beiden an. Bill Ayotte wurde auf den Angriff aufmerksam.

Der 69-Jährige eilte sofort zu Hilfe. Nur mit einer Schaufel bewaffnet, schlug er auf den Bären ein. Die Frau konnte sich in das Haus retten, während sich der Eisbär auf Bill Ayotte stürzte.

Aufgeschreckte Nachbarn eilten zu Hilfe. Einige versuchten den Bär mit Böllerschüssen zu vertreiben, was aber nicht gelang. Schließlich konnten zwei junge Männer mit einem Fahrzeug den Bären vertreiben. Die beiden verletzten Personen werden in Krankenhäusern behandelt, befinden sich aber nicht in Lebensgefahr.

 

Churchill bezeichnet sich als Polar Bear Capital of the World
Churchill bezeichnet sich als Polar Bear Capital of the World

Der Eisbär wurde von Beamten der Royal Canadian Mounted Police erschossen. Ebenfalls erschossen wurde eine Eisbärin, die allerdings nichts mit dem Angriff zu tun hatte. Ihr Eisbärenjunges wurde eingefangen. Warum diese Eisbärin erschossen wurde, darüber gibt es zur Zeit nur widersprüchliche Berichte.

 

Im November vergangenes Jahr war ich zwei Wochen in Churchill. Ich beobachtete Eisbären auf der Seal River Lodge. Dort gelangen mir faszinierende Aufnahmen.

Anschließend verbrachte einige Tage in Churchill. Dort berichtete ich über den ersten Polar Bear Marathon, einem Marathonlauf, der mitten durch Eisbärengebiet führte.

Ich habe viele Einwohner Churchills kennengelernt und weiß, dass dort niemand leichtsinnig mit dem Thema Eisbären umgeht. Als ich vor zehn Jahren das erste Mal in Churchill war, warnten mich die Einheimischen in der Kneipe: “Nachts immer einen großen Bogen um Ecken machen.” Dahinter könnte ja ein Eisbär stehen. Jeder in Churchill kann dir eine Geschichte erzählen, wie seine Begegnung mit einem Eisbär verlaufen ist. 1983 gab es den letzten bislang tödlichen Vorfall. Damals war ein Hotel niedergebrannt. Ein Mann suchte in der Ruine, nach was auch immer, fand im Kühlschrank einige Burger und nahm sie mit. Dies wurde ihm zum Verhängnis, als plötzlich ein Eisbär auftauchte, dessen feine Nase das Fleisch witterte. Mike Reimer erzählte mir die Geschichte. Er rannte barfuß aus dem Haus und erschoss den Eisbär, doch für den Mann kam jede Hilfe zu spät. Der Vorfall vorgestern hat Churchill erschüttert. Es wird viele Diskussionen über Sicherheit geben. Doch man muss auch festhalten, dass die Einwohner bislang alles richtig gemacht haben.

Bleibt zu hoffen, dass die Medien keine reißerischen Artikel schreiben, wie der Bericht von Michael Remke, den ich heute morgen im Internet gefunden habe. Wer den Artikel, Teil 1 hier, Teil 2 hier, liest, muss glauben, dass in Churchill die Bären nur so herumlungern und sich auf alles stürzen, was ihnen zwischen die Zähne kommt. Remke schreibt: “Für die Einwohner ist es lebensgefährlicher Alltag. Die oft 1000 Pfund schweren und über zwei Meter großen Tiere plündern die Mülleimer, brechen in Vorgärten und Häuser ein, tyrannisieren die Bewohner.” Typisch Bild-Zeitung Stil. Außerdem strotzt der Artikel nur so von Fehlern. Die Sirene, die um 22 Uhr heult, ist nicht etwa Zeichen einer Ausgangssperre. Die Sirene heult nur in den Sommermonaten und zeigt den Kindern an, dass es Zeit ist, nach Hause zu kommen. Im Sommer wird es ja nicht dunkel, sonst wären die Kleinen ja noch bis Mitternacht draußen auf der Straße. Oder dieser Satz: “Hinter dem Restaurant lauerte ein Eisbär dem Kellner auf. Dieser hatte sich die Essensreste des Abends eingepackt.” So ein Schwachsinn. Wie es wirklich war, habe ich bereits beschrieben. Der Kollege sollte gründlicher recherchieren. Deshalb könnte ich nie für die Bild-Zeitung schreiben. Mir sind solche Sätze einfach zuwider.

Mitte November soll es erneut einen Polar Bear Marathon geben. Der Marathon wird von Albert Martens von Athletes in Action organisiert. Es braucht sehr viele freiwillige Helfer aus Churchill, die die Läufer mit Fahrzeugen begleiten. Ich bin gespannt, ob nach dem Vorfall der Marathon tatsächlich stattfinden wird.

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